Baustein eines Imperiums

Warum Iran die Huthi in Jemen unterstützt.

  • Nasrin Parsa
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 14. September spielten die Weltölmärkte verrückt. Drohnenangriffe auf große saudi-arabische Ölanlagen ließen den Ölpreis binnen Stunden um 19 Prozent in die Höhe schnellen. Eilig gab US-Präsident Donald Trump die Ölreserven seines Landes frei, um den Markt zu beruhigen. Drei Wochen später ist von der Börsenpanik nichts mehr zu spüren, doch politisch werden die Säbel gewetzt: Saudi-Arabien und die USA, aber auch Deutschland, Großbritannien und Frankreich machen Iran für die Angriffe verantwortlich, obwohl sich die jemenitischen Huthi-Rebellen zu ihnen bekannt haben. Dieser scheinbare Widerspruch weist auf einen Machtkampf hin, der sich seit der islamischen Revolution 1979 in Iran über die gesamte Region ausbreitet. Er hat eine lange Geschichte.

Vom Imamat zum Widerstand

Schiiten gegen Sunniten

Im Grunde ist es ein Streit darüber, wer nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahre 632 die »Umma«, die Gemeinschaft aller Gläubigen, anführen soll, der die Muslime in zwei Lager spaltet. Während die Schiiten Mohammeds Schwiegersohn Ali und dessen Nachkommen für die rechtmäßigen Anführer halten, glauben die Sunniten, dass nicht eine Blutsverwandtschaft, sondern nur die erforderlichen Kompetenzen jemanden qualifizieren.

Über die Jahrhunderte war die Beziehung zwischen den beiden Konfessionen sehr unterschiedlich, je nach Zeit und Region ist sie mal mehr, mal weniger feindselig. Doch im 20. Jahrhundert, im Zuge von Kolonialisierung, Globalisierung, der Entwicklung eines pan-arabischen und islamischen Nationalismus und des sogenannten politischen Islams, also der Zusammenführung von Religion und nationalstaatlichem Denken als politische Theorie, werden auch die Konfessionen und ihre einzelnen Strömungen zum Politikum. Mit der islamischen Revolution in Iran 1979 bekam diese Entwicklung einen entscheidenden Anstoß, denn sie verschob das Gleichgewicht in der gesamten Region: Zum ersten Mal gibt es einen dezidiert schiitischen Staat mit einer aggressiven außenpolitischen Agenda, in der wirtschaftliche und politische Interessen mit religiösen verbunden werden.

Insgesamt sind etwa 85 Prozent der Muslime Sunniten. Eine schiitische Bevölkerungsmehrheit gibt es lediglich in Iran, Irak, Aserbaidschan und Bahrain; bedeutende schiitische Minderheiten findet man in Libanon, Jemen, Saudi-Arabien, Kuwait, Syrien und Afghanistan. pma

Die politische Bewegung der Huthi hat ihren Ursprung in den schiitischen Stämmen, die den Nordosten Jemens sowie Teile Saudi-Arabiens bevölkern. Im 9. Jahrhundert wurde Yahya Ibn al-Hussain - ein Enkel des zaiditischen Gelehrten al-Qasin Ibn Ibrahin ar-Rassi - von zerstrittenen nordjemenitischen Stämmen als Schlichter einberufen und schließlich vom Stamm der Chaulan als Imam anerkannt, also als Nachfolger des Propheten und rechtmäßiger Anführer der religiösen Gemeinschaft. Damit gründete sich das zaiditische Imamat Jemens - Zaidismus ist eine eigene Strömung des schiitischen Islams.

Das Imamat währte tausend Jahre. Doch 1962 stürzte eine Gruppe sunnitischer Offiziere den des zaiditischen Königs Muhammad al-Badr. Generaloberst Abdullah al-Sallal wurde Präsident der Jemenitischen Arabischen Republik, auch Nordjemen genannt. Es folgte ein Bürgerkrieg zwischen dem Imamat treuen Royalisten und der Regierung. Dabei unterstützten das Königreich Saudi-Arabien sowie Großbritannien und die USA die schiitischen Royalisten. Der Grund dafür: General Sallal erhielt Rückendeckung von Ägyptens linksnationalistischem Präsidenten Gamal Abdel Nasser und der Sowjetunion. Sallals Regierungstruppen errangen einen Teilsieg und verhinderten einen weiteren Putsch. Trotzdem konnten sich die Nordstämme eine relative Autonomie über ihre Gebiete sichern.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte Jemen einige Konflikte zwischen verschiedenen politischen, ethnischen und religiösen Gruppen. Schließlich vereinigten sich 1990 die Jemenitische Arabische Republik (Nordjemen) und die sozialistisch geprägte Demokratische Volksrepublik im Süden. Doch die zaiditischen Stämme fühlten sich weiterhin abgehängt und unterdrückt. 1992 gründete sich die Vorgängerorganisation der Huthi, die »Gläubige Jugend«, deren Hauptziel die Förderung des Zaidismus war. Daraus entwickelten sich die Ansar Allah (arabisch: Anhänger Gottes), eine politische Bewegung mit militärischem Flügel, ähnlich wie die palästinensische Hamas oder die libanesische Hisbollah. 2004 versuchte die Regierung, deren Anführer Hussein al-Huthi zu verhaften. Die Situation eskalierte, und die Ansar Allah begannen, die Regierung offen zu bekämpfen. Al-Huthi starb noch im selben Jahr bei Gefechten. Sein Bruder, Abdul-Malik Badreddin al-Houthi, übernahm die Führung, die er bis heute innehält. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde der Name »Huthi« für die Ansar Allah geläufig. Im Mittelpunkt ihres Widerstands steht der Kampf gegen die Einflussnahme ausländischer Mächte, aber auch gegen die Zentralregierung. Auf ihrer Flagge prangt: Gott ist groß, Tod den USA, Tod Israel, den Juden die Verdammnis, Sieg dem Islam.

2015 gelang ihnen der große Coup: Die Regierung des neuen Präsidenten Abed Rabbo Mansur al-Hadi wurde aus der Hauptstadt Sanaa vertrieben. Trotzdem konnten die Huthi nicht das gesamte Land erobern. Ihr Feldzug war der Anfang eines blutigen Krieges, der bis heute über 100 000 Menschen das Leben gekostet hat, über 20 Millionen sind vom Hungertod bedroht.

Aus Teheran in die Welt

Der Kriegsbeginn fiel zudem in eine für die Region höchste sensible Zeit: In denselben Monaten wurde das Atomabkommen zwischen Iran, den fünf Vetomächten und Deutschland vereinbart. Infolgedessen wurden die Sanktionen der USA gegen Iran aufgehoben. Dieser Erfolg Irans stieß in Saudi-Arabien auf großen Unmut. Als Verbündeter und Partner der USA erhielt das Königshaus von der Obama-Regierung grünes Licht für eine Intervention in Jemen, um durch die Hintertür eigene regionale Interessen zu wahren und Irans Einfluss am Golf einzudämmen. Seit der islamischen Revolution 1979 sind die Huthi mit Iran verbündet. Nach der These des Ayatolla Khomeini müssen alle Schiiten sich zusammenschließen, um zukünftig die Welt zu beherrschen. Erreichen will das die Führung in Teheran durch die militärische und finanzielle Unterstützung ihrer »Glaubensbrüder« wie die Hisbollah in Libanon, Hashd al-Shaabi in Irak, Fatemiun in Afghanistan oder die Huthi in Jemen.

Die Huthi bestreiten eine Unterstützung Irans. Doch es gibt täglich Flüge zwischen Teheran und Sanaa, der Hauptstadt Jemens. Am 19. August 2019 schickten die Huthi einen Sonderbeauftragten namens Ibrahim Dilami mit einer Delegation nach Teheran. Dort wurde er von Ali Khamene’i, dem religiösen Oberhaupt, empfangen - ein Schritt, der von der internationalen Gemeinschaft heftig kritisiert wurde. Nach Angaben iranischer Medien haben jedoch auch die Botschafter Deutschlands, Italiens, Frankreichs und Englands mit der Huthi-Delegation Gespräche geführt.

Zwar sollte die Beziehung zwischen den Huthi und Iran nicht mit dem Einfluss Teherans in Libanon, Syrien oder Irak gleichgesetzt werden. In den letzten Jahren ist jedoch eine stärkere Hinwendung der Huthi in Richtung Iran zu beobachten, was am militärischen Druck der Gegner im Zuge des Krieges sowie an der stärkeren Politisierung der zwei größten muslimischen Konfessionen, der Schiiten und der Sunniten, liegt - eine Entwicklung, die durch die islamische Revolution in Iran und den ökonomischen und militärischen Aufstieg der Golfstaaten in den vergangenen Jahrzehnten vorangetrieben wurde.

Beweise, dass Iran hinter den Anschlägen vom 14. September steht, gibt es nicht. Aber solange Iran paramilitärische schiitische Gruppen für seine Interessen instrumentalisiert, werden vor allem der Westen und seine Verbündeten das Land weiterhin für schuldig erklären.

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